Vom Lassen in der Gelassenheit

Viele KlientInnen in meinen Supervisionen und Coaching-Sitzungen wünschen sich mehr Gelassenheit. Sie haben für sich erkannt, dass sie an einer bestimmten Situation nichts ändern können außer: ihre Haltung dazu. „Mehr Gelassenheit“ scheint dann für Viele ein attraktives Ziel zu sein, um dennoch gut mit der Situation umgehen zu können – sei es die unzuverlässigen Kollegin, der launischen Chef, der permanent volle Schreibtisch … Aber was genau meint „Gelassenheit“ eigentlich?

Gleichmut, Gottergebenheit, stoische Ruhe

Bei Wikipedia werden zur Erläuterung die Worte Gleichmut, innere Ruhe, Gemütsruhe aber auch Abgeklärtheit oder Kaltblütigkeit angeboten. Es ist die Rede von einer „innere(n) Einstellung, die Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung oder eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren“.
Spannend fand ich zu erfahren, dass „gelassen“ in der Sprache der Mystiker* „gottergeben“ bedeutet. Und ein Blick in die Geschichte der Philosophie zeigt, dass schon Platon die „Sophrosyne“ (griechisch σωφροσύνη; sophrosýne) als eine sokratische Tugend hochhielt und auch die sprichwörtlich gewordene „stoische Ruhe“ in enger Verbindung mit Gelassenheit zu sehen ist.

Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann

Diesen Teil des sogenannten „Gelassenheitsgebetes“ hat Jede/r von uns schon mal gehört. Es geht darum anzuerkennen, dass es im Leben immer wieder Dinge gibt und mir Geschehnisse widerfahren, in denen ich nichts tun, die ich nicht ändern kann: Krankheit, Tod, das Wetter, andere Menschen – auf Dergleichen habe ich keinen oder nur einen sehr beschränkten Einfluss. Für den modernen Menschen, der oft mit der Illusion der grenzenlosen Möglichkeiten und des „Alles ist machbar“ durch die Welt geht, ist diese Tatsache nicht immer leicht zu akzeptieren.
Akzeptanz des Nicht-Änderbaren ist aber die Voraussetzung für einen gelassenen Umgang damit. Insofern geht es auch um das Los-Lassen der Idee: Ich kann etwas dagegen / dafür tun! Manchmal können wir das schlichtweg nicht. Vielmehr besteht das „Tun“ dann im „Lassen“ im „Sein-Lassen“, wie es nun mal ist.

Was will ich eigentlich „lassen“?

In Supervision und Coaching versuche ich mich den Fragen anzunähern:
Was genau will ich eigentlich lassen? Und was wünsche ich mir stattdessen? Und dabei meine ich in allererster Linie: Welche innere Haltung wünsche ich mir?

  • Vielleicht Entspannung statt Ärger (Immer macht sie die Sachen nur halb).
  • Vielleicht Ruhe statt Ungeduld? (Wann kommt er denn endlich?)
  • Vielleicht Vertrauen statt Angst (Wie soll ich das jemals bis zur Deadline schaffen?)

Die eigene Haltung zu überrüfen und ggf. zu verändern, ist immer dann sinnvoll, wenn ich merke, das meine bisherige das daraus resultierende Verhalten gar nichts bringt, eigentlich nur „Energieverschwendung“ ist und / oder mir nicht gut tut.
Mit Blick auf übervolle Schreibtisch oder nicht enden wollende To-do-Listen hörte ich von einer lieben Kollegin in Hamburg, mit der ich regelmäßig Seminare zur Burnoutprävention leite, mal den Satz: „Ich kann nicht alles mit mal schaffen. Aber ich kann alles mit mal liegen lassen“. Auch hier also wieder das Lassen.

Atmen geht immer!

Was hilft nun aber dabei gelassener zu werden oder in herausfordernden Situation gelassen zu bleiben? Die Liste der Ratgeber dazu ist lang. Viele Ideen dazu kennen Sie wahrscheinlich auch schon oder haben Sie schon mal ausprobiert:

  • Wahrnehmen des eigenen Körpers (Wo fühle ich gerade was in meinem Körper? Wie fühlt sich mein Atem an?) und Regulierung durch Atmung, Veränderung der Körperhaltung etc.
  • Analysieren (Was genau ist gerade so schlimm / beängstigend / stressig? Was würde im schlimmsten Fall passieren?)
  • Das Problem in einen größern zeitlichen Kontext setzen (Welche Bedeutung hat dieses Ereignis in 1, 5, 20 Jahren?)
  • „Geschenkdenken“ / Reframing (Was ist das Gute daran? Was kann ich daraus lernen?)
  • Singe deine Sorgen (Kognitive Defusion = Loslösen von belastendesn Gedanken, z.B. indem man sie auf die Melodie eines Schlagers singt)

Gelassenheit kann man lernen. Aber auch dieser Lernprozess braucht mitunter seine Zeit – und regelmäßiges Training.  Und manchmal ist es schon ganz wertvoll, wenn ich merke: Ich kann jetzt gerade gar nicht gelassen sein! – und diese Tatsache ganz gelassen zu akzeptieren.

 

*Duden. Das Herkunftswörterbuch, 4. neu bearbeitete Auflage 2007, Mannheim: Dudenverlag, 262 s.v. ›gelassen‹

 

Auch das geht vorüber

In einem großen Land weit jenseits des Meeres lebte einst ein mächtiger König. In den langen Jahren seiner Regierung, verwandelte sich das ehemals arme Land in ein blühendes Reich. In den Straßen der Dörfer und Städte herrschte lebhafte Geschäftigkeit. Zufriedene, gesunde Menschen gingen ihrer Arbeit nach und genossen ihr Leben. Die Städte und Häuser strahlten Geborgenheit aus und ihre üppigen Gärten waren voller Früchte und großer Bäume, in deren Schatten die Menschen ruhten und ihre Feste feierten.

So kam es, dass man den König mehr und mehr als einen großen Herrscher und weisen Führer verehrte. Aber der König selbst wurde immer unzufriedener. Voller Unruhe erledigte er jetzt seine Pflichten und immer öfter schweiften seine Gedanken ab oder er verirrte sich im Labyrinth seiner Gefühle. Er schwankte zwischen zufriedener Geschäftigkeit und verzweifelter Sorge um die Zukunft, ohne dass er hätte sagen können, was diese widersprüchlichen Gefühle auslöste. All seine Macht konnte nicht verhindern, dass er seinen Gefühlsschwankungen hilflos ausgesetzt war. Er begann sich vor Krankheit und Einsamkeit zu fürchten und Gedanken an den Tod ließen ihn nachts nicht mehr schlafen. Und war er an manchen Tagen glücklich und von einer Aufgabe erfüllt, dauerte es nicht lange und seine Gefühle schlugen wieder um. Er hatte einfach keine Kontrolle über sie.

Schließlich rief er die weisesten Männer und Frauen seines Landes zusammen. “Hört,” sagte er, “ich suche nach einer Medizin, die mich an die Lebenslust erinnert, wenn ich traurig bin und die Welt ohne Glanz und Musik ist. Und gleichzeitig soll sie bewirken, dass ich mich an Vergänglichkeit und Tod erinnere, wenn das Leben am schönsten ist. Ich will nicht mehr länger Spielball meiner Gefühle sein. Findet den Schlüssel, der mich gelassen und ruhig macht.”
Die Weisen berieten sich viele Tage und Nächte, doch sie fanden kein Mittel, keine Arznei, keine Weisheit, die dem Wunsch des Königs gerecht werden konnte.
Schließlich schickten sie einen Boten zu einem heiligen Einsiedler in die Berge. Wer wenn nicht er, konnte vielleicht doch noch eine Lösung finden. Einige Tage später kehrte der Bote zurück. Er übergab dem König einen schlichten, einfachen Ring mit einem großen Glasstein in der Mitte. Der Weise ließ dem König ausrichten:

“Unter diesem Glasstein liegt die Antwort verborgen; doch widerstehe der Versuchung, sie jetzt schon lesen zu wollen. Du darfst erst dann unter den Stein schauen, wenn alles verloren scheint und du absolut keinen Ausweg mehr weißt. Erst wenn deine Verwirrung total ist, dein Schmerz und deine Verzweiflung unerträglich und du selbst völlig hilflos bist, dann öffne den Ring. Erst dann, und nur dann, wirst du verstehen.”

Und so seltsam es jedermann erschien, der König gab sich damit zufrieden und hielt sich trotz seiner Neugierde und obwohl er sich oft verzweifelt fühlte, an die Anweisung des Einsiedlers.
Manchmal glaubte er, nun sei der Augenblick gekommen, der die Bedingungen des Weisen erfüllte, doch irgendwie fand er jedesmal einen Ausweg und die Botschaft des Weisen blieb unter dem Schmuckstein verborgen.

Eines Tages brach ein schon lange schwelender Streit mit einem mächtigen Nachbarland offen aus. Der Angriff kam so überraschend, dass jede Verteidigung zwecklos schien und so flüchtete der König mit seiner Familie ohne etwas retten zu können. Von nun an waren sie Verfolgte. Oft gerieten sie in aussichtlose Situationen und oft, sehr oft, glaubte der König unter den Stein an seinem Finger schauen zu müssen. Aber dann ließ er es doch bleiben.
Die Strapazen der Flucht zwangen ihn seine Familie zurück zu lassen. Hunger und Krankheiten wurden zu ihren ständigen Begleitern und rafften die meisten Soldaten dahin. Die Lage wurde immer aussichtloser. Schließlich flüchteten die letzten Getreuen mit dem König in die Berge. Sie schleppten sich nur noch mühsam vorwärts, als sie plötzlich das Triumphgeheul ihrer Feinde direkt hinter sich hörten. Mit letzter Kraft kletterte der König über einen Steilhang und zwängte sich in eine enge Schlucht. Fast glaubte er den heißen Atem seiner Feinde im Nacken zu spüren. Seine Angst wurde unerträglich. Und dann stand er plötzlich am Rande eines tiefen Abgrundes. Vor ihm bodenlose Tiefe, rechts und links steile Felswände und hinter ihm der Feind.
Jetzt war der Augenblick gekommen. Dies war das Ende; er hatte absolut keine Wahl mehr. Verzweifelt klappte er den Ring auf und las: “Auch das geht vorüber!”

Kaum hatte er die Botschaft gelesen, wurde er plötzlich ganz ruhig. Aufmerksam sah er sich um und entdeckte einen schmalen Spalt im Felsen. Einen Augenblick später hatte er sich in den Spalt gezwängt. Keinen Moment zu früh, denn schon stoben seine Verfolger heran. Angesichts der steilen Wände und der tiefen Schlucht vor ihnen, entschieden sie, dass der König wohl in den Abgrund gesprungen sein musste und endgültig besiegt war. Unter wildem Freudengeschrei galoppierten sie davon.
Der König aber machte sich auf den Weg, sein zersprengtes Heer und seine zerstreuten Anhänger wieder um sich zu sammeln. Und das Glück war auf seiner Seite. In einem nächtlichen Überraschungsangriff eroberte er sein Land zurück und zog unter dem Jubel seines Volkes wieder in den Palast ein.

Ausgelassen feierten die Leute seine Rückkehr. Durch die Straßen zogen tanzende, fahnenschwingende Menschen. Sie sangen Loblieder auf ihren König und brannten ihm zu Ehren riesige Feuerwerke ab.

Überglücklich beobachtete der König sein feierndes Volk. Sein Herz schien vor Glück und Freude fast zu zerspringen. Da fiel sein Blick auf den Ring. “Auch das geht vorüber!” dachte er. Und augenblicklich fühlte er eine tiefe Ruhe in sich aufsteigen. Und während seine Augen zu den fernen Bergen schweiften, überzog ein nachdenkliches Lächeln sein Gesicht.

(Quelle: www.wadpad.com)

 

 

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