Bergauf oder bergab – auf den Rahmen kommt es an.
Wir sind diesen Sommer den Alpe-Adria-Radweg gefahren, eine wunderschöne Tour von Salzburg in Österreich bis nach Grado in Italien. Vor allem während der ersten Etappen einige Höhenmeter zu überwinden, und während ich so schnaufend die Berge hochächzte, fiel mir ein, wie sehr doch alles immer eine Frage des Kontextes ist: Wenn in der Wirtschaft oder auch allgemein im Leben davon gesprochen wird, dass es „Bergauf“ geht, ist damit fast immer etwas Positives gemeint, etwas verändert sich zum Besseren. Das „bergab“ versucht man tunlichst zu vermeiden oder diese Phase zumindest so kurz wie möglich zu halten. Beim Radfahren ist es anders: das „Bergauf“ hat eher eine negative Bedeutung, denn es ist anstrengend, geht nur langsam voran, kostet Kraft. Wünschenswert ist hingegen das „Bergab“, und es kann eigentlich gar nicht lange genug dauern.
Na klar, eine Binsenweisheit: Alles ist relativ, alles eine Frage des Blickwinkels und des jeweiligen Zusammenhangs. Nichts ist nur gut, oder nur schlecht. Auch wenn in der jeweiligen Situation immer eine Seite mehr hervorsticht, ist die andere auch da. Was für den einen Grund zur Erleichterung und Freude ist, sorgt beim anderen für eine Stöhnen.
Sich die unterschiedlichen Seiten einer Medaille bewusst zu machen, nennt man „Reframing“. „Frame“ ist das englische Wort für „Rahmen“ und „Reframing“ lässt sich dementsprechend übersetzen mit „einen neuen Rahmen geben“. Das kennen Sie sicher auch: Eine Fotografie sieht anders aus, wenn sie in einem schweren Eichenholzrahmen oder in einem zarten Silberrahmen oder ganz ungerahmt an der Wand hängt.
Mit Hilfe des „Reframings“ kann ich bestimmte Situationen und Phänomene in meinem Leben umdeuten, indem ich Ihnen entweder einen anderen Kontext gebe, wie das oben beschriebene Beispiel mit dem bergauf und bergab. Man spricht dann von „Kontext-Reframing“.
Oder ich verändere meine Art, über eine Sache zu denken, dann handelt es sich um „Bedeutungs-Reframing“. Ein Beispiel dafür: Ich habe meinen Bus verpasst. Nun kann ich mich darüber ärgern und die nächste halbe Stunde vor mich hinschimpfen oder ich kann mich darüber freuen, dass ich plötzlich noch ein paar Minuten Zeit habe, in der Sonne zu sitzen, während ich auf den nächsten Bus warte.
Jede Situation, jedes Problem, jedes Verhalten eines Menschen ja sogar jede Eigenschaft kann ich durch Reframing in einem neuen Licht erscheinen lassen. Bezogen auf ungeliebte Eigenschaften oder Wesenszüge bei uns selbst oder einer anderen Person gibt es da eine kleine aber sehr wirksame Übung. Sie lässt sich am besten in einer Gruppe machen und funktioniert wie folgt:
Einer aus der Gruppe sagt eine Eigenschaft oder Verhaltensweise, die er an sich selbst nicht leiden kann, z.B. „Ich kann nur schwer an einer Sache dran bleiben.“
Alle anderen Gruppenteilnehmer überlegen sich nun einen positiven Aspkekt, den diese Sache auch hat und nennen diesen:
„Du bist flexibel, kannst Dich schnell auf Neues einstellen.“
„Du kannst gut loslassen.“
„Du hast viele neue Ideen.“
Manch einer mag nun sagen: Das ist doch bloß Schönrederei. Aber dem möchte ich ein Zitat des griechischen Philosophen Epiktet entgegenhalten:
„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,
sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“
Bei diesen Meinungen ist die eine nicht richtiger oder falscher als die andere, sondern eben nur eine Meinung, also eine bestimmte Sichtweise, Einschätzung oder Bewertung. Und ich kann mich entscheiden, welche Meinung ich über etwas haben will, welche Einschätzung oder Bewertung einer Situation für mich hilfreich ist.
Zum „Reframing“ gehört auch das sogenannte „Geschenk-Denken“. Das meint, ich frage mich in jeder auch noch so negativ erscheinenden Situation: Was könnte das Gute daran sein? Oder ich stelle mir eine andere Reframing-Frage, wie z.B.: Was könnte ich in dieser Situation lernen? Welchen Sinn könnte das haben? Welche Chance liegt in dieser schwierigen Zeit?
Zugebenermaßen finde ich selbst eine Antwort auf diese Fragen oft leichter mit etwas Abstand, wenn ich also nicht mehr ganz so tief gedanklich oder auch emotional involviert bin oder einfach etwas Zeit vergangen ist, und ich sehen kann, was für (vielleicht) ungeahnte positive Folgen das Ganze hatte. Sich diese Fragen zu stellen, verändert dennoch oft die Haltung und das Gefühl zu einer Situation auch schon in dem Moment auf erstaunliche Weise.
Da ich mich diesmal zwischen zwei – wie ich finde – sehr passenden Geschichten zum Thema nicht entscheiden konnte – Sie können ja selbst mal schauen, wie sie diese Unentschiedenheit bewerten 😉 – gibt es einfach beide. Die erste mal wieder zum Zuhören in einer Vertonung von Gerhard Schöne: „Glück oder Unglück„
Die zweite wie immer zum selbst Lesen:
Der Traumdeuter
Ein mächtiger Sultan, der in einem grossen Palast lebte, träumte eines Nachts, er verliere alle Zähne. Gleich nach dem Erwachen liess er einen Traumdeuter zu sich rufen und fragte nach dem Sinn des Traumes. „Ach, welch ein Unglück, Herr!“, rief der Traumdeuter aus. „Jeder verlorene Zahn bedeutet den Verlust eines deiner Angehörigen!“ „Du frecher Kerl“, schrie ihn der Sultan wütend an, „was wagst du mir zu sagen? Fort mit dir!“ Und er gab den Befehl: „50 Stockschläge für diesen Unverschämten!“
Doch der nächtliche Traum ließ dem Sultan keine Ruhe. Es dauerte nicht lange und ein anderer Traumdeuter wurde gerufen und vor den Sultan geführt. Als er den Traum erfahren hatte, rief er: „Welch ein Glück! Welch ein grosses Glück! Unser Herr, der mächtige Sultan, wird alle die Seinen überleben!“ Da heiterte sich des Sultans Gesicht auf und er sagte: „Ich danke dir, mein Freund. Gehe sogleich mit meinem Schatzmeister und lasse dir von ihm 50 Geldstücke geben!“
Auf dem Weg sagte der Schatzmeister verblüfft zu dem Traumdeuter: „Du hast den Traum des Sultans doch nicht anders gedeutet als der erste Traumdeuter.“ Mit schlauem Lächeln erwiderte der kluge Mann: „Merke dir, man kann vieles sagen, es kommt nur darauf an, wie man es sagt!“
(Quelle: Kurzgschichten Bd.3, Will Hoffsümmer)
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