Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen
Abschiedlich leben. Ich kenne diese Begrifflichkeit schon seit vielen Jahren aus dem Kontext von Trauer- und Sterbebegleitung. Es geht darum, sich immer wieder die Vergänglichkeit allen Seins bewusst zu machen und daraus zu lernen, z.B.,
sich einzulassen auf das Hier und Jetzt,
jeden Moment als etwas Einmaliges und Unwiederbringliches zu (er-)leben,
Veränderungen als zum Leben gehörig anzunehmen und mit ihnen mitzugehen, statt an Altem festzuhalten,
Abschiede bewusst zu gestalten.
Angeregt durch den gestrigen Totensonntag hab ich mich gefragt „An welcher Stelle kommt der Aspekt des ´abschiedlich leben` in Supervision und Coaching zum Tragen?“ und kam zu folgenden Antworten:
- Über Probleme, Krisen und herausfordernde Situationen können neue Ansichten gewonnen werden, wenn ich frage: „Was meinen Sie, wie Sie in 10 Jahren darüber denken werden?“ oder: „Welche Bedeutung wird das, was Sie jetzt erleben, in 25 Jahren für Sie haben?“
- Es kann meinem Klienten / meiner Klientin helfen, Entscheidungen zu treffen oder sich darüber klar zu werden, was ihm / ihr wirklich wichtig ist, wenn ich vorschlage: „Stellen Sie sich vor, Sie blicken von Ihrem Sterbebett aus auf Ihr Leben zurück – was wollen Sie dann sehen? Was soll passiert sein und was sollte nicht passiert sein?“
- Auch die Frage: „Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen?“ kann dazu zu anregen, aktuelle Ereignisse neu zu bewerten und / oder sich darauf zu besinnen, was man als das Wesentliche im eigenen Leben ansieht.
- Und im Konflikt mit einem Kollegin, der Vorgesetzten oder einem Kunden kann der Gedanke: „Im Grunde sind wir gleich. Beide leben wir nur einmal und beide werden wir irgendwann sterben. Bis dahin lebt und verhält sich jeder so gut wie er eben kann“ zu einem milderen Blick oder mehr Gelassenheit führen.
Es scheint also viel Wahres an dem Bibelvers zu sein: „Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.“ (Psalm 90, 12)
Was fällt Ihnen noch ein, welche Früchte der Blickwinkel der Vergänglichkeit in Supervsion und Coaching oder überhaupt im Leben tragen könnte?
Die Verabredung
Der Lieblingsdiener stürzte ins Gemach des Sultans, warf sich ihm zu Füßen und bat um das schnellste Roß: Er müsse nach Basra fliehen. Im Park stünde der Tod und strecke seine Hände nach ihm aus.
Der Sultan gab ihm das Pferd und der Jüngling stob davon. Der Herrscher begab sich in den Garten und sah den Tod. „Was fällt Dir ein, meinen Diener zu bedrohen?“
„Ich habe ihn nicht bedroht“, antwortete der Tod, „ich habe nur erstaunt meine Hände gehoben, ihn noch hier zu sehen, wo ich doch in fünf Stunden mit ihm verabredet bin, auf dem Markt in Basra.“
(Ferry Kienberger, Der Tod und seine Spuren im Leben, BoD 2009, S. 180f.)
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