Trauer macht nicht halt vor dem Arbeitsplatz

In der Anfangsrunde einer Supervisionssitzung frage ich, wie sich – im übertragenen Sinne – bei den Teilnehmenden gerade „der Boden unter den Füßen anfühlt“: Tiefschnee, vereist, Matsch und Modder, weicher, trocker Waldboden oder…? Eine Teilnehmerin fängt unvermittelt an zu weinen. Auf meine behutsame Nachfrage erzählt sie, dass sie im Moment das Gefühl habe, der Boden sei ihr komplett entzogen worden und sie sei in ein tiefes Loch gefallen. Eine ihrer engsten Freundinnen war vor kurzem in Folge einer Krebserkrankung im Alter von nur 45 Jahren verstorben. Seitdem sei sie einfach todtraurig. Die Arbeit wäre eine ganz gute Ablenkung und auch zuhause täte sie das, was notwendig sei. Aber die Freude am Leben sei ihr fast komplett abhanden gekommen. So kenne sie sich überhaupt nicht und sie habe Angst, dass das vielleicht nie wieder besser würde.

Plötzlich ist sie im Raum: die TRAUER!

Trauer ist ein Gefühl, ein Zustand, um den die meisten Menschen am liebsten einen großen Bogen machen würden. Aber früher oder später ist fast jeder und jede davon betroffen.
Vielleicht trauern Sie, weil Sie selbst einen nahestehenden Menschen verloren haben – oder auch das treue Haustier, das viele Jahre ein Teil der Familie war.
Vielleicht kommen Sie mit Trauer in Berührung, weil eine Kollegin oder ein Kollege einen Verlust zu verarbeiten hat.
Vielleicht sind Sie in großer innerer Aufruhr, weil Sie als Erzieherin einer Kita ein Kind in der Gruppe haben, das die Diagnose einer stark lebensverkürzenden Krankheit bekommen hat. 

Trauer muss aber gar nicht unbedingt mit einem Todesfall zusammenhängen. Im Privaten trauern Menschen auch nach der Trennung oder Scheidung von ihrem Partner / ihrer Partnerin oder wenn z.B. ein Umzug in eine andere Stadt ansteht.
Im Arbeitskontext kann ein Grund zur Trauer sein, dass ein geschätzter Kollege nach vielen Jahren harmonischer Zusammenarbeit in den Ruhestand geht und man künftig die Mittagspause nicht mehr miteinander genießen kann. Oder wenn die bisherige Vorgesetzte durch eine neue ersetzt wird. Oder wenn ein Projekt, in das alle Beteiligten viel Zeit und Kraft investiert haben, gescheitert ist. Ja selbst wenn man das gemütliche kleine Büro mit Blick ins Grüne gegen einen Arbeitplatz im Großraumbüro an einer lauten Hauptstraße eintauschen muss.

Es gibt viele Anlässe, die Trauer hervorrufen können und gar nicht selten kann sie dann nicht einfach zuhause gelassen werden, sondern hat Auswirkungen im Berufsleben.
Aber wie sehr darf dieses Thema in der Arbeitswelt sein? Wieviel Akzeptanz gibt es dafür, dass eine Mitarbeiterin nach dem Verlust ihres Partners vielleicht lange Zeit nicht mehr ihre bisherige Arbeitsleistung erbringen kann? Wie wird der Kontakt mit einem Mitarbeiter gestaltet, dessen Frau eine Fehlgeburt hatte? Wie gehen Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern mit der ständigen Gegewart des Todes und ihren damit einhergehende Gefühlen um? 
Darf überhaupt darüber gesprochen werden, dass ein Team sehr um die beliebteTeamleitung trauert, die das Unternehmen verlassen hat und diese Trauer vielleicht mit einem starken Widerstand gegenüber der neuen Leitung kompensiert? Gibt es im Unternehmen so etwas wie eine „Trauerkultur“?

Der Trauer Raum geben

Trauer, Tod Sterben und Abschied sind Themen, die Menschen zutiefst bewegen. Supervision ist ein Rahmen, in dem sie zur Sprache kommen können. Und dieses „zur Sprache kommen können“ ist auch erst mal das, worauf es in vielen Fällen am allermeisten ankommt. Es geht darum, dass die Trauer da sein, dass sie ausgesprochen werden darf. Es geht darum, auch anderen belastenden Gefühlen wie Angst oder Verunsicherung oder auch Schuld Raum zu geben. Es geht um Mitgefühl für die trauernde Person und darum, ihr durch das Zeigen dieses Mitgefühls zu vermitteln: Ich bin bei Dir in Deiner Trauer, in Deiner Angst. Es geht manchmal auch um das wortlose Aushalten und Mittragen solcher schweren und belastenden Gefühle.

Erst in einem zweiten Schritt kann vielleicht etwas lösungsorientierter geschaut werden, was entsprechend der aktuelle Situation auch getan werden könnte.
Wie können Sie als Kollegin, als Vorgesetzter oder gemeinsam als ganzes Team die trauernde Mitarbeiterin oder den trauernden Mitarbeiter unterstützen, vielleicht entlasten? 
Oder: Wo kann die Kollegin selbst auf Ressourcen zurückgreifen, die ihr im Moment nicht präsent sind?
Oder vielleicht auch: Wie könnte – ganz praktisch – der Abschied von einem Kollegen innerhalb des Unternehmens begangen werden?

Trauer wird nur besser durch Trauern

Wie fast immer in meiner Arbeit als Trauerberaterin in Unternehmen ermutigte ich auch in dem anfangs geschilderten Fall die trauernde Teilnehmerin zunächst darin, ihre Gefühle und auch die von ihr geschilderte Kraft- und Antriebslosigkeit als Teil ihres Trauerprozesses zuzulassen und zu akzeptieren. Ich regte an, sich auf den Gedanken einzulassen, dass das Trauern im Moment „ihr Job“ sei – und zwar einer, der viel Geduld und Energie erfordert.
Von sich aus erzählte sie dann, dass sie schon selbst überlegt hatte, sich jetzt an das zu halten, was sie ihren Klientinnen (die Teilnehmerin war Mitarbeiterin eines Sozialpsychatrischen Dienstes) in ähnlichen Situationen empfahl:
– milde sein mit sich selbst und sich Zeit geben
– wann immer möglich in Bewegung kommen, rausgehen an die frische Luft, in die Natur
– sich Gesprächspartner und / oder Entlastungsmöglichkeiten suchen – wenn nicht innerhalb des Freundes- oder Familienkreises dann bei Institutionen wie einem Ambulanten Hospizdienst oder der Telefonseelsorge.

Nach einer Pause und einmal „Durchlüften“ widmeten wir uns im weiteren Verlauf der Supervisionsitzung dann einer Fallberarbeitung, an der sich die Teilnehmerin rege beteiligte. Sie wirkte auf mich erleichtert und gelöster. Wir konnten zwar an ihrer Situation nichts ändern und natürlich kann ihr auch niemand ihre Trauer abnehmen. Aber ich denke, es war für sie eine wohltuende Erfahrung, sich innerhalb des Teams damit zeigen und sein zu dürfen und sich zumindest für den Moment mit ihrer besonderen Situation nicht ganz so allein und vielleicht ein kleines Stück weniger ohnmächtig und ausgeliefert zu fühlen.

Zum Abschluss noch ein Zitat von Jörg Zink, das für mich sehr schön auf den Punkt bringt, worauf es bei der Begleitung trauernder Menschen ankommt:

„Trost besteht ja nicht darin, dass etwas Schönes gesagt wird oder Hoffnungsvolles. Das mag eines Tages dazukommen und dann auch notwendig und hilfreich sein. Trost liegt darin, dass mitten im entgleitenden, im tödlich wegbrechenden Leben ein lebendiger Mensch ist, der auf ein Stück seiner eigenen Lebendigkeit verzichtet, um an der tödlichen Bedrohtheit der Seele eines anderen Menschen teilzunehmen [ … ] Trost ist eine Insel in einem Meer von Verzweiflung. Eine Insel im Meer der Zeit. Es ist ein Augenblick, in dem ein Mensch Boden unter den Füßen empfindet, ehe das Wasser ihn wieder zu verschlingen droht. Trost ist, dass es eine solche Insel gibt. Worte und Zeichen …“

(Quelle: Zu diesem Buch, in: Mechthild Voss-Eiser (Hg.), Nochmal sprechen von der Wärme des Lebens. Texte aus der Erfahrung von Trauernden. Freiburg i.B. 2012, S. 19)

 

 

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