Neue Wege – größere Kreise
Drei mal pro Woche gehe ich joggen. Ganz entspannt und ohne großen Ehrgeiz. An den Arbeitstagen eine kleine Runde, am Sonntag eine größere.
Vor einer Weile bekam ich Lust, diese größere Runde etwas auszubauen, aus der Stunde vielleicht doch so 1 ½ zu machen – für die Kondition und weil mir diese Zeit für mich am Morgen mit Bewegung an der frischen Luft einfach so gut tut. Also veränderte ich an den darauffolgenden Sonntagen jedes Mal ein wenig meine übliche Strecke: Einmal nahm ich eine Abbiegung später, ein anderes Mal baute ich bewusst ein Zick-Zack ein – immer innerhalb „meines“ Waldes. Doch genau das schien das Problem zu sein. Denn egal, wie lange ich „gefühlt“ auf diesen für mich neuen Wegen unterwegs war – immer, wenn ich wieder zu Hause ankam und auf die Uhr schaute, waren es doch wieder nur 5 oder 10 Minuten mehr. Das war nicht das, was ich wollte!
In mir keimte der Gedanke, dass ich wohl die Grenzen meines angestammten und mir so vertrauten Terrains verlassen müsste, wenn ich mir wirklich eine größere Jogging-Runde erschließen wollte – ein Gedanke, der etwas Beunruhigendes und Verunsicherndes hatte und mit verschiedenen Befürchtungen einherging: Ich kenn mich da nicht so gut aus und könnte mich verlaufen. Ich könnte mich überfordern, wenn die Strecke am Ende viel zu lang wird. Vielleicht ist es da ja gar nicht so schön, wie in meinem Wald…
Letztlich siegten aber die Neugierde und eben der Wunsch: Ich will eine größere Runde haben! Also schob ich meine Befürchtungen beiseite und bog am letzten Sonntag vor dem Wald links ab und lief – ohne Karte und Navi – mutig außerhalb desselben auf für mich neuen Pfaden. Anfangs längere Zeit mit einem mulmigen Gefühl und einmal auch überzeugt davon, dass ich mich tatsächlich verlaufen hätte. Aber im Grunde war ich doch recht entspannt und mir gewiss, dass ich früher oder später schon wieder zu Hause ankäme und konnte mich so über die vielen schönen Dinge freuden, die ich links und rechts des Wegesrandes entdeckte. Irgendwann landete ich tatsächlich wieder auf meinem alten Weg, aber da wusste ich: Diesmal hatte ich es geschafft. Und wirklich: Der Blick auf die Uhr zu Hause zeigte mir, dass ich deutlich länger unterwegs gewesen war, und als ich die Strecke am Nachmittag noch mal mit Fahrrad und Kilometerzähler abfuhr, bekam ich die Bestätigung, dass sich auch die Kilometerzahl merklich erhöht hatte.
Was hat mir nun diese Begebenheit in Erinnerung bzw. noch mal zu Bewusstsein gebracht?:
- Umwege erhöhen die Ortskenntnis.
- Entwicklung / Veränderung findet (meist) außerhalb der Komfortzone statt.
- Soll sich etwas verändern, muss ich neue Pfade betreten.
- Es gibt auch andere schöne Wege, als die mir bekannten.
- Manchmal finde ich das, was ich suche, nur außerhalb des mir vertrauten Gebietes.
- Wenn ich mir neue Kreise erschließen will, muss ich meine alten verlassen.
- Mein Orientierungssinn (meine Intuition) ist besser, als ich gedacht hätte.
- Mutig sein, lohnt sich.
Und ich hab mich an eine andere Geschichte über das Suchen erinnert – von Paul Watzlawick:
Der verlorende Schlüssel
Mitten in der Nacht im Lichtkegel einer Laterne kriecht ein Mann auf dem Boden umher. Ein vorbei kommender Polizist fragt ihn, was er da tue. „Ich suche meinen Schlüssel“, antwortet der Mann. Daraufhin hilft ihm der Polizist und beginnt ebenfalls auf dem Boden umherkriechend nach dem Schlüssel zu suchen. Nach einer Weile fragt er ihn fast schon entmutigt: „Sind Sie denn sicher, dass Sie den Schlüssel hier verloren haben?“ „Nein,“ antwortet der Mann, „verloren habe ich den Schlüssel da hinten,“ und zeigt dabei mit dem Finger ins Dunkle. „Warum suchen wir dann hier?“ fragt der Polizist. Darauf antwortet der Mann: „Weil es dort hinten kein Licht gibt.“
(Quelle: Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein, Piper, München 1988)
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