Fehlen ist menschlich
Was es uns bringt, Fehler zu machen
Neulich beim Yoga: Unsere Lehrerin verteilte frisch gedruckte Flyer für einen Workshop, begleitet von vielfachen Entschuldigungen ihrerseits, weil vor den aufgeführten Datumsangaben die falschen Wochentage standen. Das hatte bei einigen Interessenten des Workshops wohl zu Verwirrung und Nachfragen geführt. Meiner Yogalehrerin war dieser Lapsus jedenfalls sehr unangenehm -wie ihr deutlich anzumerken war und sie selbst auch immer wieder betonte.
Diese Szene beobachtend fiel mir ein, was ich vor kurzen über das Thema „Fehler machen“ gelesen hatte. Wussten Sie z.B., dass wir uns Fehler und Ausrutscher 11 mal leichter und länger merken als Erfolge? Früher mag das überlebenswichtig gewesen sein, denn einmal die giftige Frucht vom Baum zu naschen, hieß unter Umständen, überhaupt das letzte Mal zu naschen. Die meisten Fehler, die wir heutzutage machen, haben allerdings nicht solche existentiellen Auswirkungen, ausgenommen natürlich Berufsgruppen wie Ärzte, Piloten, Lotsen oder ähnliches.
Aber ganz gleich, um welche Art von Fehler es sich handelt, wir behandeln fast jeden, als ob unser Leben daran hinge. Tatsächlich sind wir Deutschen nicht nur Fußballweltmeister, sonder auch Vizeweltmeister in Sachen Fehlerintoleranz. Bei einer Untersuchung der Fehlerfreundlichkeit in 61 Ländern landete Deutschland auf dem vorletzten Platz, nur noch gefolgt von Singapur. In Deutschen Firmen herrscht die Devise „Fehler gibt es bei uns nicht“. Und sollte uns dennoch mal einer unterlaufen, wird er solange wie möglich vertuscht oder abgestritten, denn: „Fehler gibt es bei uns nicht!“
Dabei gehört es zu den wichtigsten Erfahrungen der menschlichen Entwicklung, dass wir manchmal etwas falsch machen oder Dinge einfach schiefgehen. Fehler zu machen, ist ein fester Bestandteil des Lernens – vorausgesetzt, sie können offen und sanktionsfrei dargestellt werden.
Genau das hab ich neulich mal mit ein paar Kollegen geübt. Bei einem Treffen erzählten wir uns gegenseitig die größten Pleiten und Pannen unserer beruflichen Karriere. Und dabei ging es nicht nur um Dinge, die ausversehen passiert sind und vielleicht ein wenig peinlich waren sondern um tatsächlich gemachte Patzer, eigenes Fehlverhalten, Denkfehler, Fehleinschätzungen. Jeder wusste dergleichen zu berichten. Und: Wir alle hatten es überlebt. Dem einen oder anderen stieg zwar immer noch die Schamesröte ins Gesicht, während er davon erzählte. Dennoch war es insgesamt eine sehr unterhaltsame, lehrreiche und entlastende Runde, denn sie zeigte uns mal wieder:
- Fehlen ist menschlich.
- Fehler zu machen, ist zwar nicht schön, aber in der Mehrzahl bleiben sie ohne wirklich schlimme Konsequenzen.
- Die meisten Fehler macht man nur einmal, d.h. wir lernen tatsächlich daraus.
Zum Glück findet nach und nach auch in deutschen Unternehmen ein Umdenken in Sachen Fehlerkultur statt. In Fehler-Management-Kursen wird versucht, Fehler als nicht nur unvermeidliches sondern sogar sinnvolles Nebenprodukt aktiven Lernens in den Köpfen zu etablieren. Hierfür werden oft andere Länder als Vorbild für einen alternativen Umgang mit Fehlern herangezogen – Japan zum Beispiel, das diese als willkommenen Ausgangspunkt für Verbesserungen ansieht. Die Idee des „Kaizen“ (Kai = Veränderung, Wandel; Zen = zum Besseren, im positiven Sinn) wird dort für jegliche Art der Verbesserung sowohl im Privat- als auch im Arbeitsleben gebraucht.
Aber auch bei uns wird immer häufiger zur systematisierten Nutzung von Misserfolgen angeregt und daran erinnert, dass in der Forschung immer wieder zufällige Fehler zu großen wissenschaftlichen Fortschritten geführt haben, wie z.B. bei der Entdeckung des Penicillins.
Manch einer behauptet sogar, Fehler im Sinne von „richtig“ und „falsch“ gäbe es gar nicht, sondern nur „Hilfreiches“ und „Nicht-Hilfreiches“, und oft wüssten wir erst im Nachhinein, ob es das eine oder das andere war.
Aber zurück zu meiner Yogalehrerin und zu der Frage: Was bringt es uns, Fehler zu machen?
In ihrem Fall zeigte es mir z.B.: Jemand, der mit größter Leichtigkeit und Präzision die schwierigsten Yogaübungen macht, hat in anderen Bereichen auch ganz menschliche Schwächen. Das macht mir Menschen immer symphatisch und lässt mich außerdem milder auf meine eigenen Schwächen schauen.
Ein weiterer Nebeneffekt war, dass meine Yogalehrerin die Angaben auf dem Flyer nun immer wieder erklären und und korrigieren musste, wenn sie diesen verteilte. Das war zwar in dem Moment mehr Arbeit und ihr – wie oben beschrieben – auch sehr leidig. Leztlich führte es bei mir aber dazu, dass mir die Ankündigung dieses Workshops viel eindrücklicher in Erinnerung blieb, als wenn sie mir das Papier einfach nur in die Hand gedrückt hätte.
Bestimmt ließe sich noch mehr finden, was dieser Fehler an Gutem hervorgebracht hat. So oder so bin ich ganz bei Dietrich Bonhoeffer, wenn er schreibt: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“
In diesem Sinne: Machen Sie Fehler und schauen Sie, was sie Ihnen bringen! Vielleicht kann die folgende Geschichte Sie dazu noch zusätzlich motivieren 😉
Zu den 5 Glocken
Es war einmal ein Gasthaus, das hiess „Silberstern“. Der Gastwirt hatte keinen Erfolg, obgleich er alles tat, um Gäste zu gewinnen. Er richtete das Haus gemütlich ein, sorgte für eine freundliche Bedienung und hielt die Preise in vernünftigen Grenzen. In seiner Verzweiflung fragte er einen Weisen um Rat. Als er die jammervolle Geschichte des anderen gehört hatte, sagte der Weise: „Es ist sehr einfach. Du musst den Namen Deines Gasthauses ändern.“
„Unmöglich!“ sagte der Gastwirt. „Seit Generationen heisst es ´Silberstern` und ist unter diesem Namen im ganzen Land bekannt. “ Der Weise blieb bestimmt: „Du musst es ´Zu den fünf Glocken` nennen – und über dem Eingang sechs Glocken aufhängen.“ „Sechs Glocken? Das ist doch absurd. Was soll das bewirken?“ „Versuch es einmal. Du wirst Erfolg haben“, sagte der Weise lächelnd.
Also machte der Gastwirt den Versuch, und Folgendes geschah: Jeder Reisende, der an dem Gasthaus vorbeikam, ging hinein, um auf den Fehler aufmerksam zu machen. Und saß er erst einmal in der Gaststube sass, war er beeindruckt von der freundlichen Bedienung und dem tollen Essen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann erzählen sie noch heute von der tollen Idee und dem ausgezeichneten Lokal.
(Quelle und Verfasser: unbekannt)
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