Mit der STOP-Übung aus dem Automatik-Modus

Ich verstehe nicht, warum ihr euch immer wieder so viel unnötigen Druck macht“. So die Worte einer Leitenden Fachkraft einer Pflegeeinrichtung für Menschen mit Behinderungen im Rahmen einer Team-Supervision. Und sie lud im weiteren Verlauf ihre Mitarbeitenden ausdrücklich ein, gerade in Schichten, in den sie nur zu zweit waren, sich auf die Arbeiten zu konzentrieren und zu beschränken, die wirklich nötig waren: die Pflege und Betreuung der Bewohner*innen. Solche Tätigkeiten wie Müll rausbringen, Waschmaschine anstellen, Wäschetrockner ausräumen etc. dürften sie getrost einfach weglassen, und zwar ohne schlechtes Gewissen.

Soweit die Einladung, die ich bemerkenswert fand. Endlich mal eine Leitungskraft, die nicht noch mehr Druck aufbaute, sondern im Gegenteil dazu aufforderte, den Druck rauszunehmen.
Aber ebenso bemerkenswert fand ich auch die Reaktionen aus dem Team. Entgegen meiner Erwartungen folgten kein dankbares Aufatmen und Sich-Entspannen. Es kamen vielmehr Rechtfertigungen und Erklärungen, warum es so schwierig sei, diese Einladung anzunehmen und sich keinen Druck zu machen, und jede*r hatte eigene gute Gründe:
Ich kann es nicht aushalten, wenn nicht alles erledigt ist.
Ich fühle mich verantwortlich, immer alles zu machen, was anliegt.
Ich hab den Ehrgeiz / den Anspruch immer alles zu schaffen.
Ich mag meinen Kolleg*innen in der nächsten Schicht keine zusätzlichen Aufgaben hinterlassen.
Ich bin zuhause genauso unterwegs und komme erst zur Ruhe, wenn alles fertig ist.

Wir stellten fest, dass die Prägung durch das eigene Elternhaus eine große Rolle dabei spielt, mit wie viel Ehrgeiz und Anspruch wir unserer Arbeit nachgehen und wie gut wir es vermögen, auch mal Abstriche zu machen – oder eben nicht.
Ich warf in die Runde, dass es uns ja auch gute Gefühle macht, wenn wir sehr fleißig sind und viel schaffen: Wir erleben uns als wirksam und wichtig, sind stolz und erfolgreich und es fühlt sich toll an, im „Flow“ zu sein.

Zeitdruck

Gleichzeitig gab ich zu bedenken, dass dieses Im-Flow-Sein und zackig und ohne Stress nacheinander die Dinge abzuarbeiten, etwas ganz anderes sei, als die hektische Geschäftigkeit, wenn wir uns unter Zeitdruck fühlen und nicht wissen, was wir zuerst tun sollen. Dann passieren Fehler, wir werden gereizt, unsere eigene innere Unruhe überträgt sich auf unsere Mitmenschen, und wir sind am Ende eines solchen Dienstes völlig erschöpft und ausgepowert.

Es wurde deutlich, dass das Entscheidende ist, sich selbst die Erlaubnis zu geben, auch mal etwas nicht zu schaffen oder liegen lassen zu dürfen. Und es stellte sich auch heraus, dass es oft gar nicht so einfach ist, überhaupt zu bemerken, dass wir gerade in einer unguten hektischen Betriebsamkeit sind oder in einem unbewussten Automatikmodus – wie ein aufgezogenes Duracell-Häschen, dass erst aufhört zu trommeln, wenn die Batterien alle sind.

An dieser Stelle der Supervison erzählte ich von der STOP-Übung, die ich selbst erst vor kurzem im Rahmen eines Achtsamkeitstrainings kennengelernt hatte und die für mich zugleich eine wunderbar prägnante Zusammenfassung der gesamten Achtsamkeitspraxis darstellt. Jeder Buchstabe des STOP steht dabei für einen bestimmten Schritt:

S = „Stop“ und meint, auf die innere Stopp-Taste drücken, aufhören, innehalten, unterbrechen, was ich gerade tue.

T = „Take a breathe“, also Atmen, und zwar bewusst tief und ein- und ausatmen. Das hilft uns, zur Ruhe zu kommen, unser Herzschlag verlangsamt sich, das Gehirn bekommt das Signal „alles in Ordnung, keine Gefahr“. Dadurch kommen wir in einen anderen körperlichen und damit auch emotionalen Zustand.

O = „Observe“ und bezieht sich auf das Beobachten und Wahrnehmen dessen, was gerade ist: bei mir selbst (Gefühle, Gedanken, Körperwahrnehmungen) und um mich herum.

P = „Procede“, also weitermachen, fortführen, fortsetzen, aber nun eben nicht mehr automatisch und getrieben, sondern als Ergebnis einer bewussten Entscheidung, wie und womit ich nun weitermachen will.

STOP

Wir haben dann noch zusammen überlegt, was dabei helfen kann, sich im Arbeitsalltag immer mal wieder an diese Möglichkeit des STOP-Sagens zu erinnern. Eine Mitarbeiterin meinte, sie würde dies eigentlich schon genau so praktizieren. Eine andere gab zu, sie würde von alleine wahrscheinlich nicht darauf kommen und brächte wohl eine Erinnerung von außen, z.B. durch eine Kollegin. Die Leitende Fachkraft schlug vor, den Flipchart-Bogen, auf dem ich die Schritte der STOP-Übung notiert hatte, mit in die nächste Team-Sitzung zu nehmen und das Thema dort noch mal mit allen zu besprechen.

Wenn Sie die Übung selbst einmal ausprobieren wollen: Auf der Seite von „Freiraum Achtsamkeit“ von Andrea Anglhuber und Tina Ochs gibt es unter „Meditationsanleitungen“ eine Anleitung dazu.

Und wunderbar passend finde ich auch, was Bebbo Straßenkehrer aus „Momo“ von Michael Ende dazu zu sagen hat:

Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.“ (Quelle: Momo, Michael Ende)

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