Nährendes Unterwegssein – das passende Tempo finden

Slowenien im Sommer 2024, 35 Grad im Schatten, die Sonne brennt erbarmungslos, kein Wölkchen am Himmel. Genau wie die 5 Tage zuvor.
Trotzdem wollen wir auch heute wieder wandern, die Gegend zu Fuß erkunden, uns bewegen.
Also suche ich uns eine Route heraus: eine überschaubare Distanz für diese Hitze, 12 km – Rucksack packen, Trinkflaschen füllen, Sonnencreme auf die Haut und los.
Gleich am Anfang ein ziemlicher Aufstieg, wir kommen sofort sehr ins Schwitzen. Der Atem wird flach, der Kopf rot. Aber wir schreiten voran, geruhsam, einen Schritt nach dem anderen.  So geht es. Immer wieder machen wir Pausen. Viel mehr als sonst. Verschnaufen. Den Blick auf die Landschaft genießen. Trinken. Und weiter geht ´s.
Irgendwann erreichen wir unser Ziel: Die „Mondbucht“ (unvweit von Piran). Noch ein steiler Abstieg zum Strand, dort ausruhen im Schatten, baden, etwas essen. Und dann der Rückweg. Auch diesen absolvieren wir in gemächlichem Tempo, einen Fuß vor den anderen setzend. Und wann immer uns danach verlangt, rasten wir.
Nach ca. 5 Stunden sind wir zurück auf dem Campingplatz. Wir haben viel länger gebraucht als wir dachten, viel länger, als man normalerweise für 12 Kilometer braucht. Aber 35 Grad fühlt sich auch nicht wirklich „normal“ an. Also haben wir uns angepasst – mit der Länge des Weges, mit dem Tempo, mit der Anzahl unserer Pause. Dadurch blieb das Wandern bekömmlich. Eine gute Erfahrung.

                                 

Eine Woche später in Berlin. Ich lausche einem Vortrag von Baker Roshi, Zenlehrer und zu diesem Zeitpunkt noch Abt des Johanneshofes, einem Zen Buddhistischen Kloster im Schwarzwald, wo ich einmal im Jahr für eine Woche meditiere. Baker Roshi erzählt unter anderem davon, wie wichtig es ist, beim Gehen sein eigenes Tempo zu finden. Nur so könne das Gehen, das Unterwegssein zu etwas Nährendem werden.
Mir fallen sofort unsere Wanderungen in Slowenien ein. Unbewußt haben wir es da genau so gemacht: Wir haben unser eigenes Tempo gefunden, viele Pause gemacht, auch wenn das bedeutete, eine viel kürzerer Distanz zuückzulegen, viel länger unterwegs zu sein. Das passende Tempo hat dafür gesorgt, dass das Wandern, das Gehen für uns nährend und freudvoll blieb – trotz aller Anstrengung. 

Und mir fallen meine Joggingrunden ein. Manchmal spüre ich mit im Laufen ganz deutlich: Jetzt will ich mal ein Stück gehen. Nicht, weil ich nicht mehr kann oder keine Lust mehr habe, sondern weil ich in Ruhe die Waldluft in mich aufnehmen, das unterschiedliche Grün der Bäume und Sträucher wahrnehmen, dem Klopfen des Spechtes zuhören, den weichen Waldboden, Äste und das Laub vom Vorjahr unter meinen Füßen spüren will. Auch dahinter steht wohl der unbewusste Wunsch, mein morgendliches Unterwegssein zu etwas Nährendem zu machen – nicht nur für meine Körper sondern auch für meine Seele, meinen Geist.

Das eigene Tempo finden, damit das Gehen nährend wird: Mich fasziniert dieser einfache Gedanke. Und er erklärt mir, warum ich es oft als so anstrengend empfinde, wenn ich mit jemandem spazieren oder wandern, der oder die viel langsamer oder viel schneller ist als ich.
Es erklärt mir auch, warum ich manchmal Lust habe, kraftvoll in die Pedale zu treten und durch die Stadt zu rasen und ein anderes mal lieber ganz gemütlich durch die Gegend radeln mag. 
Und es erklärt mir, warum ich so ungern den Hausputz mache, wenn ich unter Zeitdruck stehe, und weshalb er mir durchaus richtig Freude bereiten kann, wenn ich mich ihm mit Zeit und Muße widmen kann.

Das passende Tempo – es ist nicht nur beim Gehen wichtig und beim Unerwegssein, sondern bei allem, was wir tun. Damit es uns nicht stresst und frustriert, sondern Freude macht und nährt.
Vielleicht achen Sie in nächster Zeit mal darauf. Und tun, wann immer es möglich ist, die Dinge in Ihrer ganz eigenen, für Sie passenden Geschwindigkeit. Wie (anders) fühlt sich das an?

 

 

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