Nehmen und Geben. Wofür der Ausgleich wichtig ist.

Ich war mit einer Freundin unterwegs, es wurde spät und ihre letzte Bahn nachhause war längst abgefahren. Also borgte ich ihr mein Fahrrad. Da sie in der Nähe meiner Wohnung arbeitet, würde sie es mir am nächsten Tag zurückbringen. Das tat sie auch – und dazu gab es gleich noch eine Tafel Schokolade. Als Dankeschön. Wie nett. Aber natürlich wäre das nicht nötig gewesen. Oder vielleicht doch?

Die meisten Menschen scheinen das natürliche Bedürfnis zu haben, etwas zurückzugeben, wenn sie etwas bekommen haben. Oft haben wir sonst das Gefühl, bei dem / der anderen in der Schuld zu stehen, und das fühlt sich in der Regel „komisch“ an.

Im Systemische Denken wird es als Gesetzmäßigkeit angesehen, dass ein System immer einen Ausgleich von Geben und Nehmen anstrebt. Deshalb ist im supervisorischen Kontext sinnvoll, z.B.  darauf zu achten:

  • Ist die Arbeit gerecht verteilt ist oder wird als gerecht verteilt erlebt? Und hat das Verhalten eines Mitarbeiters seine Ursache vielleicht darin, dass er eine Ungerechtigkeit empfindet? (Zum Beispiel kann der Diebstahl von Büromaterial daraus resultieren, dass ein Mitarbeiter sich unterbezahlt fühlt und sich so indirekt „nimmt, was er verdient“.)
  • Wird Geleistetes ausreichend anerkannt und gewürdigt, z.B. durch die Leitung aber auch zwischen den Mitarbeitenden untereinander? (Ist eine Mitarbeiterin trotz guter Bezahlung vielleicht deshalb unzufrieden mit ihrer Arbeit, weil sie von der Chefin konrolliert und gemaßregelt, also nicht gewertschätzt fühlt?).
  • Haben Konflikte ihre Ursache evt. darin, dass jemand einem / einer anderen Dank oder eine Gegenleistung schuldig ist für eine empfangene Unterstützung oder irgendeinen Gewinn? (Irgendwann ist der Kollege vielleicht nicht mehr bereit, immer für andere den Dienst zu übernehmen, wenn für ihn nicht auch mal jemand einspringt, wenn es  nötig ist.)

Manchmal reicht schon ein von Herzen kommendes „Dankeschön“ als Ausgleich. Manchmal sogar nur zu sehen, dass etwas getan wurde und das auszusprechen. (Mensch, du machts ja schon wieder Überstunden! Ich finde es toll, dass du dich so für unser Projekt einsetzt!)  Manchmal muss es mehr sein. Das hängt von der Situation ab, von der Beziehung zum Anderen, von der Größe dessen, was ich gegeben oder bekommen habe.

Mitunter sieht es vordergründig so aus, als würden wir ganz selbstlos geben und keine Gegenleistung, ja nicht einmal einen Dank erwarten. Und zum Glück gibt es viele Menschen, die so handeln. Ohne diese würde unsere Welt nicht funktionieren. Viele wichtige Ehrenämter sind auf Menschen angewiesen, die genau dazu bereit sind.

Aber ich bin überzeugt, dass wir letztlich doch immer irgendetwas (zurück-)bekommen. Und sei es das gute Gefühl, dass uns ein solche altruistisches Verhalten beschert: Ich fühle mich gut, weil ich etwas Gutes getan habe, anderen helfen, ihnen eine Freude bereiten konnte. Oder ich bin einfach dankbar, weil mir selbst im Leben schon viel Gutes widerfahren ist und will deshalb etwas zurückgeben – an das Leben, an andere Menschen. Und da ist er dann doch wieder – der Ausgleich.

Ich wünsche Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest mit ganz viel Liebe, Frieden und Leichtigkeit im Nehmen und Geben.

 

Das besondere Geschenk

Eine weise Frau reiste durch die Berge. Eines Tages fand sie dort in einem Bachlauf einen sehr, sehr wertvollen Stein.

Am nächsten Tag traf sie einen anderen Wanderer. Der Mann war hungrig und die weise Frau öffnete ihre Tasche, um mit ihm ihr Brot zu teilen. Der Wanderer sah den wundervollen Stein in der Tasche.

“Gib mir den Stein” sagte er.

Die Frau reichte dem Mann ohne jedes Zögern den Stein. Der machte sich schnell davon, denn ihm war klar, dass der Stein sehr, sehr wertvoll war und dass er nun den Rest seines Lebens sorgenfrei verbringen konnte.

Einige Tage später kam der Mann jedoch zurück zu der weisen Frau und gab ihr den Stein wieder.

“Ich habe nachgedacht.” sagte er. “Ich weiß, wie wertvoll dieser Stein ist. Aber ich gebe ihn dir zurück. Das tue ich in der Hoffnung, dass du mir etwas viel Wertvolleres dafür schenken kannst. Bitte gib mir etwas von dem, was es dir möglich machte, mir diesen Stein zu schenken.”

(Unbekannter Verfasser, Quelle: www.metaphern.de)

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