Hamsterrad oder Tretmühle? Werden Sie zum Aussteiger!

In wenigen Tagen beginnt der Evangelische Kirchentag, der anlässlich des 500. Jahrestag der Reformation diese bedeutende Erneuerungsbewegung feiert. Ein Plakat, auf das ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gestoßen bin, zeigt folgendes Motiv:

Mensch und Hamster verlassen gemeinsam fröhlich und beschwingt ein Hamsterrad. Sie entscheiden sich dafür, etwas anders zu machen, die Routine zu durchbrechen, etwas Neues zu wagen,  eben „auszusteigen“ und neue Wege zu gehen – wie der große Reformator Martin Luther und viele seiner Mitstreiter.

Dass das Laufrad für Kleintiere genau diese Möglichkeit bietet, vergessen Viele, die sich dieser Metapher bedienen. In meinen Seminaren zur Burnoutprävention aber auch in Supervisions- und Coachingsitzungen vergleichen die Teilnehmenden ihre Arbeits- und Lebenssituation oft mit einem Hamsterrad. Es wird dann als Symbol verwendet für einen erschöpfenden Alltag, dem sie nicht entfliehen können, in dem sich alles immer nur im Kreis und immer schneller dreht und in dem derjenige, der sich in diesem Hamsterrad-Alltag befindet, sich noch so anstrengen kann – er kommt nicht von der Stelle. Vergessen wird dabei allerdings die Tatsache, dass Hamster (und andere Tiere) ganz freiwillig ins Rad steigen, um damit ihren Bewegungsdrang zu befriedigen. Es ist also sozusagen ein Fittnessgerät, das ich zu meinem Spaß nutze oder für meine körperliche Ertüchtigung  und ich kann die Fittnessübung selbst jederzeit beenden und aus dem Rad aussteigen.

Zur Beschreibung eines von Routine und Anstrengung gekennzeichneten (Arbeits-)Alltags wäre es meiner Meinung nach also sinnvoller, das Bild einer „Tretmühle“ heranzuziehen, jenem Tretrad, dass bereits im Römischen Reich unter Einsatz der Körperkraft von Menschen oder Tieren zum Antrieb von Mühlen oder Hebevorrichtungen genutzt wurde (vgl. Wikipedia). Im 19. Jahrhundert mussten in britischen Kolonien Sträflinge in Tretmühlen arbeiten. Diese hatten dann (nur) die Wahl zwischen dieser eintönigen und körperlich aufzehrende Tätigkeit oder dem Galgen – wenn sie sich verweigerten. Oftmals gerieten Arbeitende auch „unter die Räder“, wenn sie vor Erschöpfung nicht mehr treten konnten, sich das Rad aber erbarmungslos weiterdrehte.

Fakt ist, dass sich für viele Menschen ihr (Arbeits-)Leben so anfühlt. Ich denke aber, es ist eine Frage, der eigenen Entscheidung und der inneren Haltung: Will ich Hamster sein – der sich irgendwann entschlossen hat, in das Rad einzusteigen und es auch selbstbestimmt anhalten und aussteigen kann? Oder Sträfling – der zu diesem Leben und dieser Arbeit gezwungen wurde und für den das Aufhören-zu-Treten den Tod bedeuten würde?

Ist die Entscheidung für den Hamster gefallen, kann man z.B. in einem Seminar- oder Cochaingprozess schauen:

  • Wie kann ich das Rad langsamer machen?
  • An welcher Stelle will ich es anhalten und aussteigen – und wie gelingt mir das?
  • Wofür will ich es nutzen – um vielleicht Dinge in Gang zu bringen und am Laufen zu halten?

Und dann den ersten Schritt in die eine oder andere Richtung überlegen, wobei ein solcher Schritt oftmals eher im „Lassen“ statt im Tun besteht.

Das alles im Interesse unsere Gesundheit und eines selbstbestimmten und freudvollen Lebens, in dem ich mich nicht als gefangen in unabänderlichen Lebensumständen empfinde.

Wir haben die Wahl. Lassen Sie uns Hamster sein! Und so frei wie der Fischer in Heinrich Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“, nachzulesen in: Heinrich Böll, in: Robert C. Conrad (Hg.):Heinrich Böll. Kölner Ausgabe. Bd. 12. 1959–1963, Köln 2008.

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